Wenn Frauen Sex wollen, dann…
…wollen sie Sex.
Meistens zumindest.
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Wenn Männer Sex wollen, dann…
…wollen sie alles mögliche.
Unter anderem könnte es für einen Mann, der gerade Sex will, in jenem Moment um Folgendes gehen – Und das ist wahrscheinlich eine noch recht unvollständige Liste…:
- Selbstbestätigung als Mann
- Wunsch nach Entspannung
- Wunsch nach „In den Körper kommen“
- Wunsch, mal wieder zu fühlen
- Wunsch nach Verbundenheit
- Wunsch, sich zu verausgaben
- Wunsch nach Anerkennung
- Wunsch nach Ablenkung und/oder Zerstreuung von Problemen, die er gerade hat
- Wunsch nach Geborgenheit
- Wunsch nach Zuwendung
- Wunsch, „es“ zu bringen
- Einem anderen Menschen etwas Gutes zu tun
- Akuten Lebensfrust abbauen
- Eine neue Technik auszuprobieren, von der sie gehört haben (Neugier)
- Forscherdrang ausleben („hm, wie reagiert sie, wenn ich X tue…“ – im Grunde auch Neugier, aber auch „Erkundgungs- und Entdeckerdrang“)
- Wunsch, Konflikte beizulegen, Ärger abzuwenden, Beziehungsspannungen „durch Handeln“ abbauen
- Verlustängste und Einsamkeit abwehren
- Einen „Mitbewerber“ ausstechen
- Problemlos einschlafen können
- Und, und, und…
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Wenn man oder frau wissen möchte, warum genau das bei uns Männern alles gar nicht so einfach ist, der sollte sich unbedingt mal das hier verlinkte Buch reinziehen.
Darin findet sich (sinngemäß) folgende schöne Formel:
„Männer denken eigentlich immer an Sex – Außer beim Sex.“
Und das hat Gründe.
Man findet in Björn Süfkes „Männerseelen“ nicht nur schöne Einsichten, warum wir Männer so ticken wie wir eben ticken. Sondern auch eine implizite Aufforderung zu „männlicher Emanzipation“. Wollen wir Männer uns wirklich aus unserer inneren Abhängigkeit lösen, so werden wir um die bei den meisten von uns stark angstbesetzte Auseinandersetzung mit unserem Innenleben nicht drumherum kommen.
Ohne diese Auseinandersetzung bleibt eben alles so, wie wir es schon nur zu gut kennen: Es bleibt beim gut abgestandenen Spiel: „Strebe möglichst viel Status an, werde dafür mit möglichst viel Sex belohnt. Sex, der Dir für einen Moment einen Zugang zu Deinem Körper und Gefühlen ermöglicht, die Dir ansonsten für immer verschlossen sind“.
Männliche Emanzipation würde heißen: Mehr Innenzugang. Weniger Abhängigkeit von Status. Weniger Abhängigkeit von Frauen. Weniger Abhängigkeit von Sex.
Männer, die „wirklich frei“ sein wollen, müssten – rein theoretisch – ein lebendiges Interesse daran haben, sich aus diesen gesellschaftlichen Fesseln zu lösen.
Denn mal unter uns: Diese Spiele machen deutlich weniger Spaß als uns unsere derzeitige Gesellschaft vorschreibt, dass sie uns Spaß machen sollen. „Have fun“ ist ein unerbittlicher Imperativ. Sex hat uns Spaß zu machen, denn sonst…
Der Mythos: „Männer sind halt so“ und „das ist halt die Biologie/Hormone/Y-Chromosom“ ist ein gesellschaftliches Konstrukt, dass darauf abzielt, aus uns „gute Soldaten“ zu machen, schmerzbefreit nach innen, schmerzbefreit nach außen, mit exzellent gepflegtem Körperpanzer, der bei uns dann eben nur durch Sex für seltene, kurze Momente aufbricht.
Freiheit sieht auf jeden Fall anders aus. Vor allem aber: Freiheit fühlt sich deutlich anders an.
„Männer werden als frei angesehen und überall liegen sie in Ketten.“ – Die stärkste Kette für uns Männer besteht aus den Ringen:
Drastisch sanktioniertes Gefühlsverbot –> Unbewusste Bedürftigkeit –> Sexzwang als kurzfristige Erleichterung –> Status-Imperativ, um darüber „an Sex heranzukommen“ –> „Sei ein lieber braver Soldat, der sich begeistert an vorderster Front verheizen lässt, dann wirst Du mit seltenen Gefühlen von Lebendigkeit belohnt.“
Solange wir Jungen systematisch ihre natürlichen Gefühle aberziehen, haben wir hochgradig bedürftige Männer, die Sex nur als Belohnungssystem kennen, von dem sie in jeder Hinsicht vollkommen abhängig sind. – Sie haben dann zwar noch die Wahl, sich von diesem System abzukoppeln, jedoch nur zu einem sehr hohen Preis: Sie werden dann nicht mehr als „richtige Männer“ angesehen. Im Grunde auch nicht mehr als „richtige Menschen“, die interessante Partner für irgendeine Form von Beziehungen sind, sei sie nun sexueller oder nicht-sexueller Art.
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Fazit: Für uns Männer ist Sex in unserer derzeitigen Gesellschaftsordnung eine Strategie zur Befriedigung ganz anderer Bedürfnisse (siehe unvollständige Liste oben). Bedürfnisse, die mit Sex erstmal rein gar nichts zu tun haben. Aber um das auch nur mitzukriegen, müssten wir uns von einigem emanzipieren, was klassische männliche Rollenbilder („Anführer“, „Held“, „Krieger“, „Priester“) uns vorschreiben, wie wir zu sein und was wir zu tun haben. – Und vor allem: Was wir als Männer alles NICHT tun dürfen, wenn wir „wertvolle Mitglieder der Gesellschaft“ sein wollen.
Ich gehe davon aus: In ausnahmslos jedem Mann steckt ein Mensch, der mal ein kleiner Junge war, der realisieren musste, dass er mit drastischen Sanktionen rechnen muss, wenn er nicht zumindest danach strebt, männlichen Rollenklischees gerecht zu weden. Und so hat er gelernt, seine eigene Verletzlichkeit zu verdrängen. Und genau dadurch eine sehr gut ausbeutbare Bedürftigkeit „gewonnen“. Wer sich als Mann heute gut um sich selbst kümmern will (= „gute Selbstsorge“), wird zurück zu jenem kleinen Jungen gehen müssen, der er mal war. Dort gibt es für jeden einzelnen von uns eine Menschlichkeit zu entdecken, die rein gar nichts mit gesellschaftlichen Konstruktionen von So-soll-ein-Mann-sein zu tun hat. – Wir alle fühlen das und sind oft auch schmerzhaft damit konfrontiert, wenn wir mit unseren kleinen Söhnen zusammen sind, bis sie selbst die gesellschaftlich von ihnen geforderte „Coolness“ bei sich zu kultivieren beginnen.
In der Regel ist uns all das in dem Moment, „in dem wir Sex wollen“, nicht im geringsten bewusst. – WÄRE es uns bewusst, hätten wir häufiger die Wahl, uns jenes Bedürfnis, um das uns eigentlich gerade geht, auch auf anderem Weg zu erfüllen, als „mittels Frauen“, als „mittels Sex“. – Wir wären dann deutlich „unabhängiger von Frauen“, auch: deutlich reifer. Deutlich beziehungsfähiger. Und würden uns um einiges freier fühlen als wir das heute tun.